50mm

Vor kurzem habe ich einen Blogbeitrag zu Standardzooms verfasst und dabei die Vorteile von Festbrennweiten hervorgehoben. Eine besondere Festbrennweite ist das 50mm Objektiv. Die Brennweite von 50mm entspricht am Vollformat (24×36 mm = klassisches Kleinbild-Diaformat) in etwa dem natürlichen Blickwinkel. Also der Wahrnehmung, die wir von unserem Auge gewohnt sind. Vielfach wird diese Brennweite auch als „Normalbrennweite“ bezeichnet.

Da die eingebauten Linsen weder eine Komprimierung des Bildwinkels (Tele), noch eine Erweiterung des Bildwinkels (Weitwinkel) darstellen müssen, ist die Normalbrennweite das Objektiv, welches mit dem geringsten technischen Know How hergestellt werden kann.

Vielleicht ist das auch der Grund, warum früher (also vor mehr als 30 Jahren) die meisten Spiegelreflexkameras mit einer solchen Normalbrennweite -also einem Objektiv mit fester Brennweite von 50mm- ausgeliefert wurden. Sehr häufig mit einer Lichtstärke von 1:1.8 (günstiger) oder 1:1.4 (teurer).

Wer heute nach alten Kameras Ausschau hält, wird daher häufig auf diese „Standardlinsen“ treffen. Es sei denn, man sucht ein Kameramodell der Neuzeit; also eine Kamera, die in den letzten 30 Jahren produziert und vertrieben wurde (dann wird zumeist ein Zoomobjektiv mitgeliefert, sehr oft etwas zwischen 24 und 85mm Brennweite).

Standardzooms haben die Normalbrennweiten längst abgelöst. In meinen Augen eine Folge des Marketings, aber keine sinnvolle Entscheidung! Wer bei mir ein Personal Coaching anfragt, bekommt von mir als erstes eine Gegenfrage gestellt: Hast du eine Normalbrennweite? – Warum? Nun, vor lauter Kameraautomatiken und Knöpfchen tun sich vor allem Anfänger mit den technischen Details schwer und können daher mit Blende, Belichtungszeit und ISO nicht umgehen. Da ich kein Freund von PowerPoint-Präsentationen bin, schnappe ich mir meine Lehrlinge und gehe mit ihnen raus. Wir stellen die Kamera auf M (manueller Modus), schnallen eine Normalbrennweite auf den Kamerabody, lassen alle Zoomobjektive im Auto und dann gibt es Praxis! Eine Statue, ein Zaun, ein Kran, ein Fernsehturm… dies alles dient bei einem leichten Spaziergang dazu, den Zusammenhang zwischen Blende, Belichtungszeit und ISO kennenzulernen. Das Kamerasystem und der Hersteller sind dabei egal.

Zurück zur Normalbrennweite. Bis heute recht spannend finde ich, dass die großen Kamerahersteller ihre neuen Modelle (insbesondere die aus dem Profisegment) auf den ersten offiziellen Produktfotos meistens mit einer 50mm Festbrennweite zeigen. Das zeigt, dass diese Brennweite nicht tot ist. Im Gegenteil. Auch kommen immer wieder Premiumkameras auf den Markt, die mit einer lichtstarken Festbrennweite ausgeliefert werden (Leica tat dies zuletzt mit dem Modell Q, das aber nicht über eine Normalbrennweite verfügt, sondern über ein lichtstarkes Weitwinkelobjektiv mit 28mm Brennweite).

In der Praxis tun sich jedoch immer mehr Fotografen mit dieser Brennweite schwer. Das klingt erst einmal verwunderlich. Denn die 50mm Objektive sind i.d.R. leicht, lichtstark, klein und relativ preisgünstig. Warum tun sich dann viele damit schwer? – Ich glaube, es liegt am günstigen Preis.

Am günstigen Preis? Ja, richtig gelesen. Wer heute eine Kamera kauft, kauft üblicherweise ein Standardzoom, das gleich mit im Paket liegt. Sehr oft stellt sich bereits nach kürzester Zeit der Moment ein, da möchte der ambitionierte Fotograf mehr Brennweite und kauft ein größeres Zoomobjektiv. Begeistert davon, wie weit man entfernte Objekte damit heranholen kann, wird die Kamera auf Vollautomatik gestellt. Und dann kommt der Moment, wo es dunkel wird und man eine richtig tolle Nachtaufnahme realisieren möchte oder gar den Höhepunkt einer Party festhalten möchte. Dann kommt regelmäßig der Moment der Ernüchterung und kurz darauf die Webrecherche bei Dr. Google. Schnell ist das Problem gefunden: Die Lichtstärke der beiden vorhandenen Objektive ist nicht ausreichend für solche Situationen.

Also wird nach einer neuen Zoomlinse mit größerer Lichtstärke Ausschau gehalten. Nun kommt der Schock: Nicht selten kosten solche Objektive weit über 500 EUR. Also mehr, als der Kamerabody ursprünglich gekostet hat. Schnell stellt sich also die Frage „Gibt es sowas nicht billiger?“. Ja und nein, lautet hier die Antwort. Lichtstärke gibt es günstig an einfachen Festbrennweiten und kostet bei Zoomlinsen richtig Geld. Auch Beträge über 2.000 EUR sind bei lichtstarken Zoomlinsen keine Seltenheit. Das überlegen sich natürlich viele Fotografen dreimal. Und greifen in Folge dessen zur günstigsten aller Festbrennweiten, dem 50mm Objektiv (meist mit einer Lichtstärke von 1:1.8 versehen). Diese Festbrennweite ist meistens 3x so lichtstark, wie das eigene Zoomobjektiv. Es kommt also mit einem Bruchteil an Licht aus und kann immer noch Fotos machen, wenn der Autofokus bei angeschnalltem Zoomobjektiv längst keinen Fokuspunkt mehr findet und sich der Auslöser deshalb nicht mehr durchdrücken lässt. Also wird die Festbrennweite zum Party-Objektiv. Immer wenn es dunkler ist, wird die Festbrennweite aufgeschnallt. Aber: Auch das ist keine Garantie für gelungene Bilder. Denn vor lauter Zoom haben die Fotografen vergessen, sich mit der Kamera zu bewegen, das Licht zu suchen und es aktiv in die Bildgestaltung einzubauen. Wer dann noch (ohne Erfahrung) den in die Kamera eingebauten Blitz aufklappt, macht alles kaputt… also das Bild… nicht die Kamera… und die Freude an der neuen Festbrennweite ist schnell verhallt.

Schade eigentlich, denn zumeist sitzt das Problem hinter der Kamera. Und nicht das Objektiv ist schuld. Wer jetzt nicht aufgibt, wen jetzt die Neugierde packt, der kann nun in kürzester Zeit ganz viel lernen. Doch die Bereitschaft zu experimentieren, bringen nicht alle Fotografen mit. Das führt oft dazu, dass die neu erworbene Kamera nur noch im Urlaub und nur noch tagsüber bei Sonnenschein verwandt wird (und die Festbrennweite gar nicht mehr). Und das ist sehr schade.

Ich selbst habe einen ähnlichen Weg gemacht. Schon zu Schulzeiten habe ich mich mit der Fotografie auseinandergesetzt. Noch zu analogen Zeiten habe ich eine Spiegelreflexkamera erworben und dazu ein Standard-Zoomobjektiv. Auch ich brauchte erst einmal ein längeres Telezoom, das kurz darauf mein Eigentum war. Auch ich wollte stimmungsvolle Fotos bei Kerzenschein erstellen und bin mit beiden (lichtschwachen) Objektiven kläglich gescheitert. Bei mir kam just in dem Moment der Digitaltrend auf und so verkaufte ich meine analoge Kamera, um eine digitale Spiegelreflexkamera zu erwerben. Natürlich mit lichtschwachem Standardzoom. Doch als zweites wollte ich eine Linse haben, von der ich in Internetforen ganz tolle People-Motive gesehen hatte: Ein 70-200 1:2.8er Zoom sollte es sein. Weit über 1.000 EUR hat es gekostet und ich war richtig happy! Doch lange nicht mehr alle Bilder waren an der richtigen Stelle scharf. Mit dem gezielten Setzen von Autofokuspunkten hatte ich mich bis dato nie beschäftigt. Jetzt, wo ich den Charme der offenen Blende erstmals selbst erfahren durfte, waren oft Bildteile scharf, die ich gar nicht scharfstellen wollte. Ein Fotokurs musste her!

Der 2,5 tägige Fotokurs mit einem erfahrenen Fotografen und Fototrainer war sein Geld wert. Mehr als 400 EUR hatte er gekostet. Er hat mir die Angst vor dem Blitzen genommen, mich mit der Technik tiefer vertraut gemacht und mein Auge für die Fotografie geschult. Meine Ergebnisse mit dem neuen 70-200er wurden von Tag zu Tag besser und die Freude an der Fotografie überwog endlich den Frust. – Doch mein mit der Kamera erworbenes Standardzoom lag seitdem in der Ecke. Nicht lichtstark genug. Denn ich hatte gelernt, dass man gerade bei der von mir favorisierten People-Fotografie regelmäßig mit der Unschärfe im Hintergrund spielt – und diese kann man zwar auch aufwändig in Photoshop produzieren, aber einfacher ist es doch nunmal, wenn das Bild gleich fertig aus der Kamera kommt.

So dauerte es nicht lange, bis ich mir die erste Festbrennweite kaufte. Ein 50mm Objektiv mit der Lichtstärke 1:1.8. Also genau diese 100 EUR Linse, von der ich schon sprach. Das Ding war leicht, hatte ein Plastikbajonett (so nennt man den Verschluss, der Kamerabody und Objektiv miteinander verbindet) und einen etwas langsamen Autofokus. Aber letzteres hinderte mich nicht. Ich musste schließlich noch lernen. Und bis ich mit einem Motiv fertig, war der Fokus immer locker richtig eingestellt.

Doch irgendwie war es eine Hassliebe. Da lag mein über 1.000 EUR teures 70-200er mit Metallkonstruktion und langer Sonnenblende neben einem 50mm Plastikbomber in der gleichen Tasche. Gourmetrestaurant mit McDrive also. Oder?

Egal. Das 50er hatte vom ersten Tag an einen Imageschaden. Es war einfach zu billig, um von mir als vollwertig wahrgenommen zu werden. Klingt überheblich und versnobt, ist aber so. So dauerte es einige Monate und ich tauschte das 50er 1:1.8 gegen das lichtstärkere 50er 1:1.4. Nochmal ein Lichtgewinn, nochmal etwas weniger Schärfentiefe. Und ein wirklich schön softes Bokeh (so nennt man das, wenn im Hintergrund des Hauptmotives weiche Farbverläufe sichtbar werden, aber die einzelnen Hintergrundelemente vor lauter Unschärfe nicht mehr sauber erkennbar sind).

Die Brennweite von 50mm gewann an Reiz. Von Tag zu Tag. Bis ich eines Tages einen richtigen Spezialisten an mein Bajonett schnallte: Das 85er 1:1.2 von Canon. Eine Portraitlinse feinster Art, übermäßig schwer für eine Festbrennweite aber mit einer sagenhaften Blendenöffnung von 1:1.2. Das gleiche Motiv (ein Gesicht) einen halben Meter weiter zurück aufgenommen als mit dem 50er und das eben beschriebene Bokeh beim 50er 1:1.4 war quasi nichts mehr wert. Ein Objektiv, wie eine Sahneschnitte, dieses 85er 1:1.2. Aber auch störrisch! Aber der cremige Look der Fotos mit offener Blende am 85er machte das 50er erneut zum Taschenhüter. Quasi immer hatte ich es dabei, aber fast nie wurde es gebraucht.

Jetzt kommen wir einen spannenden Punkt: Fragt man Fotografen, die viel People-Fotografie machen und bittet sie um Nennung von zwei Linsen, auf die sie nicht verzichten können, so kommt sehr häufig heraus: Das 35mm 1:1.4 und das 85mm 1:1.2 (oder das 85mm 1:1.8). Fragt man jedoch die gleichen Fotografen, welche Linse sie wählen würden, wenn sie nur eine Brennweite mitnehmen dürfen, so trennt sich die Spreu vom Weizen. Die reinen Portraitfotografen wählen dann das 85er. Die, die ein Faible für Weite haben, wählen das 35er. Und die, die sich nicht entscheiden können, also mal ein Portrait machen und mal eine Landschaftsaufnahme, die wählen das 50er.

Nachdem mein 50er 1:1.4 mal wieder zum Taschenhüter geworden war, habe ich mich selbst auf die Probe gestellt: Entweder du nutzt es jetzt oder du verkaufst es ein für alle Mal! Also bin ich losgezogen und habe nur mein 50er draufgeschnallt und keine weitere Linse mitgenommen.

Zugegeben, so etwas habe ich schonmal häufiger gemacht. Mit einer einzigen Festbrennweite den Tag zu gestalten, klingt zugegebenermaßen verrückt, wenn man mehrere Objektive zur Auswahl hat. Doch es hilft. Denn dann muss man sich mehr bewegen, realisiert kreativere Ansätze und schafft am Ende spannendere Bilder.

So habe ich es auch mit dem 50er gemacht. Einen Tag, einen zweiten Tag und einen dritten Tag. Natürlich waren dies keine professionellen Shootings oder gar Hochzeiten, sondern private Fototage. Ich habe die Bilder ausgewertet und war begeistert. Da liegt eine Linse in der Tasche herum, die klasse Fotos liefert und ich nutze sie quasi nicht.

Doch einen Haken gab es: Ganz so cremig wie mit meinem 85er 1:1.2 waren die Bilder dann doch nicht. Der letzte Punch fehlte. Und nun? – Ich bin zum Fotohändler meines Vertrauens gegangen und habe mir das 50er 1:1.2 ausgeliehen und nochmal einen Tag nur mit einem 50er gemacht. Und siehe da… da war er… der Kick!

Von heute auf morgen war mein neues 50er mein „Immerdrauf“. Wann immer ich die Kamera dabei hatte, hatte ich mein 50er 1:1.2 am Start und habe damit eine Vielzahl aller Aufnahmen gemacht. Bis vor kurzem!

Im Rahmen eines Workshops habe ich das neue 50er Sigma Art mit der Blende 1:1.4 auf meinen Kamerabody draufschnallen können und war nochmal mehr begeistert. Das Bokeh erreicht nicht ganz das Niveau des 50er 1:1.2, aber die Schärfe der Bilder war und ist einfach überragend. Und so habe ich nach etwas Zeit des Zögerns mein 50er 1:1.2 gegen das neue Sigma Art getauscht. Das ist nun rund ein Jahr her und das Sigma Art ist -wie das 50er 1:1.2 zuvor- weiterhin mein „Immerdrauf“.

Zugegeben: Dies ist ein langer und steiniger Weg, bis zur echten Liebe zu einem 50er. Doch vielleicht hilft sie dem einen oder anderen. Denn anstelle eines großen Zooms mit schlechter Lichtstärke, könnte man ja auch gleich ein vernünftiges 50er kaufen, glücklich sein und viele tolle Fotos machen.

Oder noch besser: Die neue Kamera ohne das Standard-Zoomobjektiv kaufen und dazu ein hochwertiges 50er kaufen. Manchmal ist ein bißchen oldschool doch gar nicht schädlich…

 

 

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